Fellfarben

Der M-Lokus Teil 8

Das Merle-Gen ist das umstrittenste Fellfarben-Gen beim Hund.

Es erzeugt eine reizvolle Fellzeichnung – die in bestimmten

Fällen allerdings mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen

einhergeht.

 

Von Dr. med. vet.

Anna Laukner

 

Genetische Grundlage

Merle wird durch eine Genveränderung

im Silver-Gen (SILV, PMEL17)

verursacht. Das für die Merle-Färbung

verantwortliche defekte SILV-Gen

wird mit M abgekürzt, während das

normale SILV-Gen mit m abgekürzt

wird. M ist unvollständig dominant:

Im heterozygoten Zustand Mm führt

es zu der Merle-Zeichnung, die je

nach der sonstigen Farbgen-Ausstattung

des Hundes zu dem charakteristischen

Merle-Muster führt. Bei einem

schwarzen Hund sind dies unregelmässig

zerrissen wirkende schwarze

Flecken auf grauem Grund, bei einem

leberbraunen Hund sind die Flecken

braun, die Grundfarbe ein aufgehelltes

Braun. Bei einem gelben oder rötlichen

Hund ist die Merle-Zeichnung

oft kaum erkennbar – dazu weiter

unten mehr.

Wildfarbigkeitsabzeichen und Weissscheckung

werden von der Merle-

Zeichnung nicht beeinträchtigt, ein

merlefarbiger Hund kann also auch

weiss gescheckt sein und/oder rote

Abzeichen haben (typisch etwa beim

Blue Merle-Collie). Merlefarbige Hunde

haben oft ein oder zwei blaue

oder blaugesprenkelte Augen.

In der homozygoten (reinerbigen) Allelkonstellation

MM zeigen die Hunde

meist eine grossflächige Weissscheckung

mit vereinzelten asymetrischen

Farbflecken. Diese homozygoten Tiere

werden auch Weisstiger genannt;

sie haben ausserdem meist blaue

Augen. Weisstiger – also reinerbige

Merle-Hunde – haben in den meisten

Fällen gravierenden Fehlentwicklungen

der Sinneszellen. Sie sind häufig

ein- oder beidseitig taub, oft kommt

es auch zu Augenmissbildungen.

Es kann mitunter schwierig sein, einen

Weisstiger (MM) rein optisch von

einem heterozygoten Merle (Mm) zu

unterscheiden. Vor allem, wenn ein

Hund mit Mm zusätzlich ein Gen für

extreme Weissscheckung trägt und

man die Genkonstellation seiner Elterntiere

nicht genau kennt, kann es

zu Verwechslungen kommen. Vor

allem bei Rassen mit stark verbreiteter

Weissscheckung (Chihuahua)

kann dies zu einem Problem werden,

wenn von Züchterseite zu wenig Augenmerk

auf dieses Problem gerichtet

wird. Aus diesem Grund empfiehlt

etwa der amerikanische Chihuahua-

Zuchtclub, zur Merlezucht nur Chihuahuas

mit einem Weissanteil von

weniger als einem Drittel der Körperoberfläche

einzusetzen.

Vorkommen

Die Merle-Zeichnung ist keine ‹moderne›

Züchtung – sie ist schon seit

Jahrhunderten bekannt. Interessanterweise

kommt dieser Farbschlag

vor allem bei Gebrauchsrassen vor

allerdings nur in der heterozygoten

(mischerbig) Variante. Merlefarbene

Hunde sind bei fast allen britischen

Hütehundrassen bekannt (am häufigsten

wohl der Blue Merle-Collie

und -Sheltie, aber auch der Border

Collie, Bobtail und Cardigan Corgi

kommen in Merle vor). In Deutschland

gibt es den so genannten Tiger

(ein Farbschlag des Altdeutschen

Hütehundes). Auch Frankreich hat

etliche merlefarbige Hütehunde:

Beauceron, Pyrenäenschäferhund,

Berger du Larzac und Berger de Savoie.

In Italien gibt es den Berga-masker.

Einige dieser Rassen sind

lokale Gebrauchsschläge, die ausserhalb

ihrer Region unbekannt und

nicht offiziell anerkannt sind. Andere,

wie der Australian Shepherd, haben

weltweite Verbreitung erreicht, sind

teilweise richtige Moderassen. Auch

unter den Jagdhund-Rassen kommt

das Merle-Gen vor: Der norwegische

Dunkerhund ist ein typischer

merlefarbiger Jagdhund. Auch den

englische Foxhound gibt es in Merle,

ebenso den Dackel. Eine weitere Rasse

ist der Catahoula Leopard Dog aus

dem amerikanischen Louisiana. Er

wird sowohl zur Wildschwein- und

Waschbärjagd als auch zum Treiben

von Rinderherden eingesetzt.

Schliesslich gibt es Deutsche Doggen

mit dem Merle-Faktor. Bei diesen gibt

es eine in der Hundewelt einzigartige

Besonderheit: Beim Harlekin-

Farbschlag sind die Flecken schwarz

auf weissem Grund. Die auch bei

Doggen vorkommenden Blue Merles

(schwarze Flecken auf grauem Grund,

bei Doggen werden sie Grautiger genannt)

sind nicht erwünscht und werden

nicht zur Zucht zugelassen. Neuerdings

sieht man auch merlefarbene

Chihuahua – bei dieser Rasse ist der

Farbschlag allerdings sehr umstritten

(später mehr dazu).

 

Farbbezeichnungen

So viele unterschiedliche Farbkombinationen

es bei der Merlezeichnung

gibt, so viele unterschiedliche Bezeichnungen

für diesen Farbschlag

kennt man auch. Der ‹Klassiker› ist

Blue Merle (schwarze Flecken auf

grauem Grund). Analog dazu bezeichnet

man Merle in Kombination

mit der Leberfarbe als Red Merle (vor

allem beim Australian Shepherd verbreitet).

Bei manchen Rassen werden

die merlefarbigen Hunde ‹Tiger› genannt

(beim Altdeutschen Hütehund,

aber auch: Tigerdackel, Tigerdogge).

Die französischen Merle-Rassen tragen

die Farbbezeichnung ‹arlequin›,

die Harlekindogge ist die typische

schwarzweisse Merle-Dogge. Im Englischen

wird die Merle-Zeichnung oft

als ‹dapple› bezeichnet.

Ist die Grundfarbe dominantes Gelb

(im Englischen als Sable bezeichnet),

so nennt man den entsprechenden

Merle-Schlag Sable-Merle. Die gezielte

Züchtung von Sable-Merles ist nicht

ungefährlich (später mehr dazu).

 

Zuchtregulierung

Wie bereits eingangs erwähnt, ist der

homozygote Weisstiger in der Regel

mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen

behaftet. Aus diesem

Grund ist die Verpaarung von Merle-

Hunden untereinander strikt abzulehnen.

Bei allen Hunderassen, bei

denen der Merle-Schlag schon länger

bekannt und verbreitet ist, ist die Verpaarung

von Merle-Hunden untereinander

untersagt. Ebenso untersagt ist

die Verpaarung von Merle mit Hunden

heller Fellfarben wie Gelb, Rot,

Creme etc. Beim Collie etwa dürfen

nur Tricolor und Blue Merle verpaart

werden, Sable und Blue Merle hingegen

nicht. Aus der Verpaarung von

Sable und Blue Merle können nämlich

Sable-Merle Hunde fallen, denen

man vor allem im erwachsenen Alter

oft kaum mehr ansieht, dass sie

die Merle-Zeichnung haben. Würde

man nun einen Sable-Merle (den

man irrtümlich für einen Sable hält)

mit einem Blue Merle verpaaren, so

besteht die Gefahr, dass dabei Weisstiger

entstehen. Aus diesem Grund

dürfen auch Harlekindoggen nur mit

schwarzen, nicht aber mit gelben

Doggen verpaart werden. Die meisten

Rassen, bei denen Merle vorkommt,

gibt es nur in einer relativ begrenzten

Farbauswahl. Bei Rassen, bei denen

alle Farben und Farbkombinationen

vom Standard zugelassen sind, kann

es unter Umständen schwierig sein,

in dieser Hinsicht den Überblick zu

behalten. Ein Beispiel hierfür ist der

Chihuahua: Hier sind zwar prinzipiell

alle Farben zulässig, die Merle-Farbe

ist allerdings relativ spät in der Zuchtgeschichte

aufgetaucht. Es gibt keine

historischen Belege für merlefarbene

Chihuahuas, und so gibt es verschiedene

Stimmen, die eine Fremdeinkreuzung

vermuten (etwa durch den

Sheltie). Ähnlich ist es beim Pomeranian,

der amerikanischen Variante

des Zwergspitz. Während beim

Zwergspitz nach FCI-Standard kein

Merle zugelassen ist, kommt diese

Zeichnung beim amerikanischen Pomeranian

vor. Man vermutet, dass

das Merle-Gen über den Chihuahua

in den Pomeranian gelangte, denn

der Chihuahua wurde in Amerika in

die Rasse eingekreuzt (vor allem, um

die Körpergrösse zu reduzieren).

 

Kryptisches Merle

Das kryptische Merle bezeichnet Hunde,

bei denen die Merlezeichnung

optisch nicht erkannt werden kann.

Bei solchen Hunden kann man die

Zeichnung manchmal im Welpenalter

noch erkennen, sie verblasst dann

aber im Erwachsenenalter (man nennt

solche Hunde auch Phantom-Merles).

Sowohl der Pomeranian als auch der

Chihuahua kommen in vielen verschiedenen

Farben vor. Die Gefahr ist

nun, dass die Merlezeichnung bei einem

Hund, der gelb, creme, gestromt

oder extrem weissgescheckt ist, nicht

als solche erkannt wird. Wird nun ein

solcher ‹verborgener› (kryptischer)

Merle-Chihuahua oder Zwergspitz

mit einem Merle-Hund (oder einem

anderen ‹verborgenen› Merle-Hund)

verpaart, so kann es zur Geburt von

kranken Weisstigern kommen.

Vor allem bei Hunden mit Extremscheckung

kann es schwer sein, einen

heterozygoten Merle-Hund (Mm)

von einem Weisstiger zu unterscheiden.

Die Extremscheckung ist typisch

beim weissen Bullterrier, beim Dogo

Argentino, bei manchen Parson und

Jack Russell Terriern sowie bei einer

ganzen Anzahl weiterer Hunderassen.

Der extremgescheckte Hund ist fast

ganz weiss, hat nur vereinzelte (oder

gar keine) Farbinseln im Bereich des

Kopfes oder am Rutenansatz. (Mehr

zur Scheckung lesen Sie in einem

späteren Teil dieser Artikelserie.) Eine

Rolle spielt dies vor allem bei Rassen,

bei denen Scheckungs-Gene und

Merle-Gene zugleich vorkommen,

in Amerika sind dies etwa der Collie

und der Chihuahua. Mit aus diesem

Grund ist übrigens beim Australian

Shepherd eine Weissscheckung, die

mehr als ein Drittel der Körperoberfläche

ausmacht, nicht erwünscht.

Extrem gescheckte Merle-Hunde und

Weisstiger kann man daran unterscheiden,

dass beim Extremschecken

die Kopfzeichnung symetrisch ist,

beim Weisstiger sind die Flecken in

der Regel unregelmässig zerrissen, oft

ist auch die Nase nicht oder unvollständig

pigmentiert. Endgültige Sicherheit

bringt aber nur der Gentest.

 

Gentest

Seit wenigen Jahren ist die genetische

Grundlage des Merle-Faktors

bekannt, mittlerweile wird auch ein

kommerzieller Gentest angeboten.

Dieser wird vor allem bei Rassen

empfohlen, bei denen es ‹verborgene›

(kryptische) Merle-Hunde geben

kann – wie eben beim Chihuahua.

In der Zuchtpraxis ist dieser Test allerdings

auch kritisch zu betrachten.

Speziell beim Chihuahua bedeutet

es nämlich, dass man längerfristig

jeden Zuchthund testen lassen

müsst denn bei sehr vielen beliebten

e –Farbschlägen (hellcreme,

gelb, weissgescheckt etc.) ist es fast

unmöglich, Merle sicher aufgrund

seiner optischen Erscheinung zu

identifizieren.

Bisher war es so, dass die breite

Farbpalette in dieser Rasse, in der es

keinerlei Zuchteinschränkungen hinsichtlich

der Farbe gab, auch zu einer

breiten genetischen Basis geführt

hat. Wird nun der Merle-Farbschlag

weiter propagiert, so fallen entweder

viele mögliche Zuchtpartner nur

wegen der Farbe weg (was die genetische

Breite einschränken würde)

oder alle Züchter werden gezwungen,

ihre Zuchtpartner auf Merle testen

zu lassen (was mit erheblichen

Mehrkosten verbunden ist).

Nicht ohne Grund stellen sich viele

europäische Chihuahuazüchter gegen

die Merlezucht.


Mit freundlicher Genehmigung von

Frau Dr. met. vet. Anna Laukner

und der Redaktion Schweizer Hunde Magazin

( RORO-PRESS Verlag AG ) 


Dr. Anna Laukner
geb. 1969, studierte von 1989-95 in München Veterinärmedizin und schrieb ihre Dissertation über die Fellfarbe beim Hund - ein Thema, das neben Hundezucht ganz allgemein und seltenen Hunderassen noch heute ihr Interessenschwerpunkt ist und mit dem sie sich viel und gerne beschäftigt (unter anderem schrieb sie mehrteilige Artikelserien für das Schweizer Hundemagazin rund um die Fellfarben beim Hund). Nach tierärztlicher Tätigkeit im Bayrischen Wald, in Stuttgart und zuletzt auf Ibiza arbeitet Dr. Anna Laukner mittlerweile wieder in Deutschland. Neben ihrer tierärztlichen Tätigkeit ist sie als Buchautorin und Illustratorin bekannt. Ihr "Taschenatlas Kleine Hunderassen" ist 2011 beim Ulmer Verlag erschienen.